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Frank Müller
Ironieverlust

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Sturz aus allen Wolken

 


Aller Ernst ist zugleich nur Scherz
Ironieverlust in Literatur und Philosophie
von Frank Müller

Abdruck in: wespennest, Nr. 119: Ironie. Wien, 2000, 46-52.

Der gutgelaunte Hedonismus ist Karl-Heinz Bohrer, dem großen Verkünder des Abschieds als "Reflexionsform des Präsens als eines je schon Gewesenseins"(1) bekanntlich ein Dorn im Auge. Um so verwunderlicher ist es, daß Bohrer nun als Herausgeber eines Sammelbandes die Bühne betritt, der den Begriff der Ironie ganz unverblümt im Titel führt.(2) Schließlich bezieht Bohrers Position ihre intellektuelle, fast schon fundamentalistische Brisanz aus dem Bewußtsein absoluter Nichtigkeit, der "Antizipation des Todes".(3) Die falsche Akzeptanz des von Bohrer nihilistisch durchdeklinierten Ästhetischen, heißt es andernorts, verweigere, indem sie die Grenzziehung zwischen Poesie und Lebenswelt leichtfertig kassiere, der elitären und exklusiven Kunst ihr Eigenrecht; ihr wichtigster Ertrag sei die "Risikolosigkeit gegenüber der Gesellschaft".(4)

Was aber hat dies alles mit der Ironie zu tun, die wir intuitiv doch eher auf der Seite des Witzes und des Humors lokalisieren, als auf der eines radikalen und abgründigen Zu-Ende-Denkens? Um genau diese 'ernste' Seite des Ironischen aber geht es in der vorliegenden Aufsatzsammlung.

"Mit der Ironie ist durchaus nicht zu scherzen", gab immerhin schon Friedrich Schlegel zu bedenken. Damit aber nicht genug. Nicht nur gebiert Ironie den Ernst, auch wendet der Ernst sich - zwangsläufig? - ironisch gegen sich selbst. "Sprachen der Ironie" und "Sprachen des Ernstes", so der Befund der Mitarbeiter des Bandes, sind einander zuweilen unverständlich gewordene Dialekte desselben Idioms.

Präziser formuliert lautet die Frage, zu deren Klärung sich eine Reihe renommierter Autoren im Bielefelder Zentrum für interdisziplinäre Forschung eingefunden hatte: Hat auf semantischer Ebene so etwas wie ein Ironieverlust im Diskurs des 19. Jahrhunderts (Philosophie, Publizistik, Literatur) stattgefunden und warum? Bohrer, der in der vorliegenden Ausgabe gleich mit vier Aufsätzen vertreten ist, eröffnet die Diskussion mit einer Darstellung Schlegels, dem Urahn jenes Theorems, das die Gattungsgrenze zwischen Literatur und Philosophie aufheben will und dem Verfassers des programmatischen Essays Über die Unverständlichkeit (1800). Schlegel repräsentiert das fortgeschrittene Bewußtsein für die semantische Form sprachlicher Mitteilungen. 'Unverständlich', das bedeutet für ihn: der Stil wird zum Vollzug des Theorems und entscheidet damit unmittelbar über dessen Sinn.(5) Darum läßt sich Schlegels Kommentar zur 'unverständlichen' Sprechweise auch als ironischer Selbstkommentar entlarven. "Ironie", erklärt Bohrer, "ist ja nichts anderes als eine besondere Form der mißverständlichen Rede, die zur Sprache als selbstbezüglichem Ausdruck gehört." Ironisches Sprechen wird hier als ein sich zwischen Dargestelltem und Darstellendem vollziehender Reflexionsprozeß greifbar. Wir dürften es zu einem guten Teil der romantischen Ironie zu verdanken haben, wenn sich die heutige Philosophie auf Erkenntnisformen jenseits ihrer logischen Sätze und propositionalen Gehalte rückbesinnt.(6) Augenfällig wird die Gebundenheit der Ironie an die Sprachform darüber hinaus in Bohrers Aufsatz zu Heinrich Heine: Hinter Heines vermeintlicher Frivolität im Umgang mit erhabenen Gegenständen steckt keine Leichtfertigkeit, sondern die "Frivolität gegenüber jenen, die an hehre Gegenstände als Fetisch glauben, also keine Reflexion über die Abhängigkeit solcher Gegenstände von ihrer sprachlichen Umsetzung anzustellen in der Lage sind".

Heine und Schlegel stimmen in der quasi-chiliastischen Ankündigung einer anderen, unmittelbar bevorstehenden Zukunft überein, bei gleichzeitiger ironischer Aufhellung der pathetischen Metaphorik. Bohrer bezeichnet dies als "ironisch-erhabene Prophetie", als Konglomerat negativer und positiver Katastrophenphantasien. Die in den Athenäums-Fragmenten geführte ironische Rede, verkündet Schlegel in besagtem Essay, werde, wenn auch nicht in der Gegenwart, so doch von den Lesern des heraufziehenden Jahrhunderts "mit vielem Behagen und Vergnügen in den Verdauungsstunden" genossen werden können. Schlegel sollte sich irren. Seine Ironie ist auch im 19. Jahrhundert nicht verstanden worden, was als ein Indiz für ihre Vereinnahmung durch den philosophisch-wissenschaftlichen Mitteilungsgestus des Ernstdiskurses gelten muß. Als dessen Exponent tritt der deutsche Idealismus mit seiner Riege ernster Männer, mit Fichte, Schelling und Hegel auf den Plan.(7) Die romantische Ironie, so Hegel in seinen Vorlesungen über die Ästhetik, zerstöre die Objektivität der moralischen Sphäre durch einen falsch verstandenen Fichteschen Subjektivismus. Sie ufere aus in stilistische Partikularität. Hamanns Schriften, behauptet Hegel weiter, bestünden nur aus Stil; sie entbehrten jeder objektiven Substanz. Unerschütterliche Objektivität konzentriert sich statt dessen in der Existenzialisierung und Historisierung der zu verkündenden 'Idee' des Absoluten, in dem, was Nietzsche später pejorativ das "Ideal" nennen wird. Laut Bohrer greift Hegels Disqualifizierung des Ironischen auch auf das Gebiet des Geschichtsdenkens über. Als "Theodizee" straft die Hegelsche Geschichtsphilosophie aus der Höhe des besseren Arguments erbarmungslos ihre Gegner ab. Da für Hegel die Wirklichkeit im Kern vernünftig ist und die Vernunft wirklich, wird die den historischen Prozeß durchherrschende Rationalität zur geheimen Kommandozentrale. Darin liegt der tiefere Grund für das Verschwinden der Ironie, die als ambivalente, relativierende Rede dem Schmerz des Einzelnen und dem Unrecht des Ganzen sich zuwendet. Ironie ist auf den Dissens zwischen Welt und ihrem Sinn gerichtet, mit dem sie es weniger in formalen Lehrsätzen als mittels des Begehrens eines Nicht-Vorhandenen, der 'Empfindung' zu tun bekommt. Textlich, meint Rembert Hüser in seinem Aufsatz Mit Hamlet winken, findet sich die Ironie im 18. Jahrhundert in der Fußnote: als Andeutung und Wink. Den Zugang zu ironischen Texten haben wir demnach immer im Parterre zu suchen, nicht in der obersten Etage: "Gewinkt wird in diesen Texten nicht von oben herab."

Der idealistische Ernst erweist sich als hartnäckiger Gegner der Ironie, weshalb auch Heines Wiederbelebungsversuch des Ironischen letztlich zum Scheitern verurteilt ist. In seiner schneidenden Sprachkritik im dritten Teil von Religion und Philosophie in Deutschland wird die Philosophie Kants, Fichtes und Schellings über ihre sprachliche Realisation ridikülisiert; Ironie manifestiert sich hier als Forum sinnlicher Evidenz. Ernst und pathetisch verdunkelt sich das Ironische jedoch, da Heine ausgerechnet Hegel - und damit seine Weise, Geschichte zu denken - von der Kritik ausnimmt. Kaum haben wir sie unter dem definitorischen Raster ausgemessen, da löckt Ironie auch schon den Stachel wider sich selbst: Die zuvor partiell ad absurdum geführten Denker des Deutschen Idealismus werden hinterrücks als heroische Positionen der zukünftigen deutschen Revolutionen restituiert. Als janusköpfig erweist sich Ironie auch in David Martyns Untersuchung von Fichtes Reden an die deutsche Nation: Sie sind nicht ernst genug, um ironisch zu sein. Rüdiger Bubner, der den Übergang von der Fichteanischen Systemphilosophie zum Fragment-Verständnis der Brüder Schlegel untersucht, fügt der Merkmalsausstattung der romantischen Ironie die Idee eines Sowohl-als-auch, eines permanenten Schwebens hinzu. Das geschieht zunächst diachronisch, als Antizipation einer Gesellschaft jenseits der Zerrissenheit, als romantische Favorisierung der Tendenz vor dem fertigen Produkt: "Fragmentproduktion rechnet planmäßig mit dem unkalkulierbaren Eigenlauf der Geschichte und beschwört damit eine Dimension künftiger Entwicklung. (...) Die systematisch offene Struktur regt das Zusammenwirken an, das eine Geselligkeit stiften wird, die es in der Realität noch gar nicht gibt". Im Spannungsfeld von System und Fragment ist sowohl die sokratische Ironie (Ironie als unwillkürlicher Reflex und Instinkt) als auch die Ironie des Aristoteles-Schülers Theophrast (Ironie als strategische Verstellung zur Dissimulation wahrer Absichten) aufgehoben. Ironie kommt in diesem Kontext zustande als "auspendelnde(s) Gleichgewicht zwischen Intention und Geschick, explizitem Wollen und Nichtanderskönnen"

Auch Eckhard Schumacher, der sich in seinem Beitrag über Die Unverständlichkeit der Ironie erneut der Schlegel-Exegese zuwendet, beweist ein gutes Gespür für das Oszillieren der Inhalte im ironisch-ernsten Fließgleichgewicht. Auf welche Weise wird Ironie überhaupt lokalisierbar? Diese Frage wird virulent, sobald wir in Literatur oder Philosophie auf die Form einer sich als Ernst maskierenden Ironie stoßen. Dahinter verbergen sich ironische Sätze vom Aussagetypus 'Diese Aussage ist nicht ironisch.' Ein modernes Beispiel für ein solches System von Sätzen verdanken wir dem Kleist-Preisträger des Jahres 1988, Ulrich Horstmann. Wie bei Schlegel und Heine überlagern sich in Horstmanns apokalyptischer Streitschrift Das Untier (1983) heiliger Ernst ("Vermonden wir unseren stoffwechselsiechen Planeten!"(8)) und betonte Beiläufigkeit (die Bewältigung der Menschheitsdämmerung ohne "Pfusch und Schluderei"(9)). Bei näherer Betrachtung eröffnet das funktionale Begriffspaar Ironie-Ernst Möglichkeiten, wesentliche Merkmale des apokalyptischen Diskurses in der Literatur der Moderne aufzuschließen.(10) Da mit Thomas Kaufmann "apokalyptisches Denken (...) nicht unmittelbarer Ausdruck eines Krisenbewußtseins (ist), sondern eine Form, dieses zu bearbeiten"(11), d. h. weniger eine Angelegenheit des Denkens als eine der mit ästhetischen Mitteln gelenkten Emotionen, erhebt sich sowohl die Frage nach dem Lustgewinn, der mit solchen Schreckensvisionen einhergehen kann, als auch die nach den künstlerischen und literarischen Mitteln, die ihn ermöglichen. Die Ironie, so scheint es, gehört als Widerpart und Befruchter des Ernstes dazu. Wichtiger in unserem Kontext scheint allerdings, auf welche Weise in der zitierten Schrift Mitteilungsgestus und Mitgeteiltes aufeinander bezogen sind. Immerhin plädiert Horstmann "offen und ohne jede Ironie für die unwiderrufliche Abschaffung des Menschen".(12) Ironie verkapselt sich hier in der vordergründig seriösen Auslegungsdoktrin und motiviert empörte, d. h. ernsthafte Reaktionen wie etwa den Ruf nach dem Verfassungsschutz. Die Beteuerung der Stichhaltigkeit des 'anthropofugalen' Denkens wird damit als Ironie zweiten Grades entzifferbar, deren epistemologischer Status allein schon aufgrund des 'Außerordentlichen' ihres Redeinhalts opak bleibt. Und auch bei Schlegel sind dort, wo er "fast ohne alle Ironie" schreibt, Merkmale ironischer Rede aufweisbar. Darin offenbart sich laut Schumacher, dessen Studie Die Ironie der Unverständlichkeit vom Suhrkamp-Verlag für August 2000 angekündigt wird, ein eigentümliches Merkmal der 'rhetorischen' Ironie: ohne Unverständlichkeit, obscuritas, kommt sie nicht aus. Ihre Vollendung besteht nicht in der geglückten Auflösung eines vorläufigen und fehlerhaften Begreifens in 'ernste' Verständlichkeit, sondern in der Fortschreibung des Unverständlichen. Wiederum Schlegel: "Die vollendete absolute Ironie hört auf Ironie zu seyn und wird ernsthaft." Ironie unterhöhlt; sie befördert ein Verstehen, das nicht allein von Intention, Repräsentation und Interpretation bestimmt wird. Daran anknüpfend, gelingt es Schumacher, Schlegels Ironie für eine Konzeptualisierung des Lesens als ihren Inhalt permanent neu formulierende Lektüre fruchtbar zu machen.

Gerade ihr ephemerer Charakter, so wurde an den vorangegangen Beispielen deutlich, macht die Ironie zu einer Gefahr für den Ernst. Hegel, dessen Abwehrhaltung gegen alles Ironische Werner Hamachers sorgfältiger Lektüre im Aufsatz Das Ende der Kunst mit der Maske noch einmal herausarbeitet, sieht sich deshalb genötigt, einer zweite Sicherungslinie um den 'ernsten' Kernbezirk der Philosophie zu verlegen: Er stellt dem Ernst der Ironie einen "wahrhaften Ernst" gegenüber. Auch Heinz Dieter Kittsteiners Beitrag mag der Dialektik zwischen ernster und ironischer Rede nicht abschwören. Ist Schlegels Spaß mit dem Ernst Hegel auch ein Greuel, so bedient sich der Großinquisitor alles Ironischen in seinen Vorlesungen zur Philosophie der Geschichte subkutan doch eben jener Sprechweise, die er philosophisch diskreditiert. Es nimmt sich wie eine weitere Akzentuierung des ironischen Doppelsinns aus, daß damit gleichsam die Gegenposition zu Bohrers 'ernsttheoretischer' Hegel-Deutung bezogen wird. In der Geschichtsphilosophie vollzieht sich laut Odo Marquard "die konkrete Vollstreckung der Autonomieposition".(13) Als Theodizee spricht sie Gott von der Urheberschaft an der Geschichte frei; als Atheismus ad maiorem Dei gloriam sucht sie die Täterschaft im autonom handelnden Subjekt. Aus dieser Geschichtsmündigkeit resultiert freilich, daß sich der Mensch nun mit jener Anklage konfrontiert sieht, die er Gott ersparen wollte. Der Autonomieanspruch erzeugt also im Falle seiner Überforderung Alibibedarf und - im Sinne einer "Kunst, es nicht gewesen zu sein"(14) - Heteronomie; er mündet ein in die Erfindung der Vollstreckerkategorie des 'Weltgeistes'. Ganz in diesem Sinne befindet Kittsteiner, daß sich Verantwortungsethik und Geschichtsphilosophie nicht vertragen. Diese nämlich "arbeitet mit dem Stilmittel der Verkleinerung des Helden, indem sie ihren Willen mediatisiert, die andersartigen Zwecke des Weltgeistes aus ihm hervorgehen läßt". Indem die Intentionen des Handelns sich verkehren, werden sie 'ironisch' gebrochen. Ironie bedeutet im Kontext einer transsubjektiven 'List der Vernunft': "Die gemeinte Handlung wird - aus der Sicht des Weltgeistes - zu einer anderen Handlung, die zum Intendierten teils im Gegensatz [...] stehen kann." Blutig wird die geschichtsphilosophische Ironie in der Rechtfertigung von Gewalt und Unrecht der Vergangenheit mit Aussicht auf das gute Ende. "Eine große Gestalt, die da einherschreitet", schreibt Hegel über die welthistorischen Individuen, "zertritt manche unschuldige Blume, muß auf ihrem Wege manches zertrümmern."(15)

Die hintergründige Ironie Hegels hat für Kittsteiner im Umkehrschluß Auswirkungen auf die Beurteilung eines 'wahrhaften' Ironikers wie Schlegel. Bedarf die Welt bei Hegel der Rettung nicht, da den handelnden Individuen unter den Auspizien der Vorsehung alles zum Guten ausschlägt, und verbirgt sich dahinter das ungelöste "Problem (...) der Verfügbarkeit bzw. Nichtverfügbarkeit der Geschichte"(16), so müssen es gerade die Ironiker mit ihrer Verzweiflung an der Welt ernst meinen, wenn sie diese als vom Ich gesetzt erkennen. Daß die deutsche Geistesgeschichte der Ironie kein dauerhaftes Bleiberecht gewährt, will auch Kittsteiner nicht bestreiten, nur datiert er das Erstarken des Ernstes vergleichsweise später. Wenn nicht mit Hegel und Marx, der ebenfalls Hilfe bei einem objektiven Prozeß sucht, zu welchem Zeitpunkt ist dann der Ernstfall in das Geschichtsdenken eingebrochen, wie er sich in Deutschland als mentale und kulturelle Grundhaltung insbesondere während und nach den beiden Weltkriegen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zeigte? Es ist Nietzsche, der in seiner Zweiten unzeitgemäßen Betrachtung das Ende des "geschichtsphilosophischen Synergismus" ausgesprochen und damit dem Rechtsintellektualismus Ernst Jüngers und Carl Schmitts dem Weg bereitet hat. Geschichte ist fürderhin bei der Herstellung humaner Verhältnisse nicht länger behilflich, die Türen ihres Schutzraumes lassen sich nicht mehr schließen. "Der Ernst der nun offen lebensfeindlichen Geschichte", sagt Kittsteiner, "erfordert andere Abwehrmaßnahmen, für die gewöhnliche Anstrengungen nicht mehr ausreichen. Nietzsche (...) entwirft den Typus des 'neuen Menschen', der es unter erschwerten Bedingungen fertigbringen soll, sich in der Geschichte immer mehr als 'Herr' zu fühlen." Wenn aber die Geschichte als feindlich empfunden wird, dann liegt der Schluß nahe, daß man ein heroisches Leben in einer Welt von Feinden führen muß.(17)

Der Begriff der Ironie, das sieht auch Bohrer in seinem Aufsatz Nietzsches Aufklärung als Theorie der Ironie, ist in jener - für die Rezeption entscheidenden - ersten Phase zwischen Ästhetik und Kulturkritik negativ besetzt. Die von Kittsteiner analysierten Verhältnisse (deutsches Ernstfalldenken versus 'ironische' Geschichtsphilosophie) beginnen abermals zu changieren, sobald hinter dem 'ernsten' Nietzsche - wenn auch nur für einen Augenblick - sein ironischer Zwillingsbruder auftaucht. Mit Voltaire, der die Hegelsche Theodizee bekanntlich in seiner Leibnizschen Vorform zum Gegenstand satirischen Spottes macht(18), wendet sich Nietzsche gegen den Idealismus als eine "vorwissenschaftliche Art der Philosophie". Idealismus ist für Nietzsche gleichbedeutend mit Gegenaufklärung, das in seinen Augen letztlich vom theologischen Ernst inspirierte Abrücken von der ironischen Tradition der Romantik. Bohrers analytischer Blick ruht wiederum auf der Sprachform, wenn wir Zeugen werden, wie dem noch andauernden Ernstdiskurs in der Geburt der Tragödie ironisch mit einem anderen, 'trockenen' Ernst begegnet wird. Dieser begreift, was ist, er perspektiviert nicht, was sein sollte - im Gegensatz zum deutschen Idealismus, der sich der 'Feuchtigkeit' einer selbstbetrügerischen Illusion hingibt: "Niemand wird so leicht eine Lehre, bloß weil sie glücklich macht, oder tugendhaft macht, deshalb für wahr halten: die lieblichen 'Idealisten' etwa ausgenommen, welche für das Gute, Wahre, Schöne schwärmen und in ihrem Teiche alle Arten von bunten, plumpen und gutmüthigen Wünschbarkeiten durcheinander schwimmen lassen." Ein weiteres Merkmal dieser Ironie ist ihr Einschluß ästhetisch-sinnlicher Befindlichkeit. "Die Expressivität der Erkenntnis der immer wieder verschleierten, immer wieder zu enthüllenden Illusion", sagt Bohrer, "gibt Nietzsches Philosophie ihr spezifisches Pathos. Sie hat selbst noch Anteil am philosophischen Diskurs. Aber nur zur Hälfte. Die Verdeckung ihres Widerspruchs als 'Heiterkeit', die ein 'Verhängnis' verbirgt, ist der Sprung in die Ästhetik, denn nicht die systematische Entfaltung, was denn das Verhängnis sei, sondern das immer schon verschwiegene Gewußthaben dieses Verhängnisses und die stilistische Expression (...) ist Nietzsches Projekt als ironischer Stil." Nietzsche, so Bohrers Schlußwort, hat der ironischen Aufklärung jedoch ein zu großes Gewicht beigemessen, als daß seine Ironie in der Metaphorik der 'Maske' sich hätte entfalten können. Als 'neuer Ernst' wider den alten ist das ironische Bewußtsein bzw. die Ironietheorie "notwendigerweise immer absoluter als seine literarische Vollstreckung". Der Vergleich mit Schlegel und Heine, mit denen Nietzsche die prophetische Naherwartung der Katastrophe, nicht aber den ironischen Duktus teilt, erlaubt den Schluß, daß Ernstdiskurs und Ironiediskurs nur dort dauerhaft miteinander interferieren, wo sie der Leim des dezidiert Literarischen zusammenhält.

Trotz der kategorialen Unterscheidung zwischen dem Erfinder der 'Maske' und dem, der sie trägt, argumentiert Nietzsche ab Menschliches, Allzumenschliches wie Schlegel und Heine vor ihm immer qua Sprache und als Stilanalytiker. Wenig plausibel mutet daher Cornelia Wieschallas programmatischer Beitrag Ein Wahrheitsdiskurs, kein Ironiediskurs an. Demnach wäre Nietzsches Philosophie nur mit Erkenntnis befaßt (und damit letztlich der als Stilphänomen charakterisierten Ironie unfähig), während sich die Aphorismen ausschließlich mit der Kunst beschäftigen: "Nietzsches Wahrheits- und Realitätspathos hätte gar keinen Wert, wenn die Wahrheit sofort mit dem schönen Schein verrechnet oder aus diesem abgeleitet wurde." Dagegen ließe sich einwenden, daß die Ironie, insofern sie Nietzsche von Wieschalla schließlich doch partiell zugebilligt wird, nicht in Polaritäten zuhause ist, sondern gerade in deren Überwindung: Als Schillern und Überblendenkönnen. Daß Nietzsche in Menschliches, Allzumenschliches die Kunst als Kompensationsbegriff zur wissenschaftlichen Realität konzipiert, können wir unter ironischer Verkehrung des Bohrerschen Schlußarguments dagegenhalten, gestattet noch kein Urteil über die Ironiehaltigkeit (oder -losigkeit) seines Stils. Die Vorbehalte gegenüber einem Denken, das auch ein Lachen ist, sitzen offenkundig tief. Dagegen gilt es im Bohrers Nietzsche-Deutung nahestehenden Aufsatz Wolfgang Langes, Nietzsche als "Grenzgänger" zu würdigen, dessen eigentümliche Sprengkraft in einem explosiven Gemisch "aus glühendem Pathos und kältester Ironie" zu suchen ist. Stößt diese Ironie vor allem dort an ihre Begrenzungslinie, wo der Autor seine gnadenlose Abrechnung mit Deutschland und den Deutschen in Form einer "Entscheidungsschlacht" vorträgt oder die Forderung erhebt, Wilhelm II. zu "füsilieren", so erweist sich gerade diese exzessive Ernsthaftigkeit als durch den Durchlauferhitzer der Ironie hindurchgegangen: "Indem Nietzsche sich den Ernst im gewöhnlichen Sinne verbietet und wider ihn die Ironie mobilisiert, treibt diese als Bewußtseinsform einen Ernst aus sich hervor, der auch vor dem Äußersten nicht zurückschreckt. So paradox es klingt: Im philosophischen Extremismus findet die Ironie bei Nietzsche zu sich selbst, in dem auf dem geistigen Terror ausgerichteten Nihilismus hat sie eine ihrer schönsten, aber auch giftigsten Blüten getrieben: 'ich liebe die prachtvolle Ausgelassenheit des jungen Raubthiers, das zierlich spielt, und indem es spielt zerreißt.'"

Ironie, das verdeutlicht nicht zuletzt die abschließende Diskussionsrunde über Büchners Dantons Tod und seine anthropologischen Implikationen, besitzt eine bisweilen unmittelbar politische Wirksamkeit. Ursprünglich ist nämlich im Begriff der représants du peuple eingeschlossen, daß die Volksvertreter mit ihrem Körper haftbar und verantwortlich sind, 'Ernst' meint hier: "Unmöglichkeit der Entkoppelung des Körpers". Nach den Revolutionskriegen wird das Konzept politischer Repräsentation umgestellt, 'ironisiert' und in das Medium des 'Als-Ob' überführt. Zur Ambivalenz dieser Ironie gehört ebenso, daß sie in anderen Fällen der Repräsentation nicht zugelassen wird. Bei der Enthauptung des Königs wurde der Ernst leibhaftig. Ironie bleibt noch im 19. Jahrhundert emblematisch an die Revolution gebunden - aus metaphysischem Blickwinkel auch an den Tod. Ironie wäre dann die Sprache des Ernstes nach dem 'Tod Gottes' (Nietzsche), sie wäre, so heißt es in Werner Hamachers großartiger Synthese, "der Ernst dessen, der sich keiner Substanz und nicht einmal einer substanziellen Subjektivität gewiß sein kann. Ironie ist also eine Form des Ernstes, und zwar ist es diejenige Form, die gerade noch subjektiv heißen kann, ohne daß sich doch ein Subjekt in ihr kontrollieren und sich als Substanz erhalten könnte. Sie wäre also auch diejenige Form (...) an der deutlich wird, daß kein substanzielles Subjekt Agent der Geschichte und Geschichte nicht der Prozeß ist, in dem sich ein solches Subjekt realisiert. Ironie wäre diejenige Form (...) die nicht mehr erlaubt, Könige auf den Thron zu setzen, es sei denn solche, die auch entthront werden können (...). Ironisch wäre weiterhin diejenige Sprache, in der Leiblichkeit nicht mehr als sich selbst transzendierende sich darstellt, es sei denn, diese Transzendenz wäre der blanke Tod. (...) Sie ist tödlich, diese Ironie, sie 'verkörpert' nur dort, wo sie den Körper, den psychisch, sozial anthropologisch determinierbaren, zerstören und noch ihren eigenen Sprachkörper in einem permanenten Selbstdementi 'entkörpern' kann. Sie ist diejenige Sprache, in der sich, paradox, der Tod 'verkörpert' : die Sprache des Todes und noch des Todes der Sprache."

Der letzte Aufsatz Bohrers widmet sich Heideggers Ernstfall. Der Beitrag rekonstruiert den End-Ernst der nationalsozialistischen Epoche über die idealistische Erfindung eines absoluten Ernstes wider die Ironie. In Heidegger erblickt Bohrer die äußerste Aufgipfelung des Seins- und Daseins-Ernstes, angekündigt bereits durch Fichte und Hegel, nun noch verschärft um die Spitze des ontologischen und historischen Arguments. Das Diagnoseinstrument heißt auch in diesem Fall nicht Ideologiekritik, sondern - Stilanalyse. Bohrers erstes Augenmerk gilt der Heideggerschen Kritik der metaphysischen Kunsttheorie. Anders als der auf das Repräsentationsmodell der Kunst (Kunst als 'Zeichen' für das Absolute) eingeschworene Frühidealismus legt sich Heidegger für eine nichtfunktionalistische Ästhetik ins Schreibzeug, zu deren Bezugspunkt für ihn Hölderlins Hymnendichtung wird. Verweist in der Repräsentation ein sinnlich-physischer auf einen übersinnlich-metaphysischen Bereich, so steht für Heidegger die Dichtung außerhalb der Metaphysik. Als Gegenentwurf zur signifikatbezogenen Zeichenfunktion firmiert er als ein "Nennen", das das "Genannte erst ins Wesen hebt und dichtet". Das aber gelingt nur im Modus des Vagen, der "Unbestimmtheit", in dem sich Bohrer zufolge Ansätze zu einer Theorie einer selbstreferentiellen, sprich autonomen poetischer Sprache erkennen lassen. Dieser Verzicht auf eindeutige Sinnidentifikation macht Heidegger kompatibel zum ironischen, auf die Auflösung philosophischer und pragmatischer Sätze gerichteten Stilphänomen. Das ruft in Heideggers Ernstfalldenken jedoch sofort die Gegenthese auf den Plan: die Selbstreferenz entpuppt sich am Ende als "Theologie der Wörter", in der die Wahrheit auf ein fundamentales Erstes (das Sein) hin referenzialisiert wird. Bohrer beschreibt dies als Rückbildung ästhetischer Kategorien. Der Hölderlinsche Subjektivismus wird durch Heidegger unstatthaft ontologisiert, sein national 'beschränkter Ernst' (Benjamin) verschärft. Es erfolgt mit anderen Worten eine "Reduktion der metaphorischen Komplexität zur Eindeutigkeit eines philosophisch-geschichtstheoretischen Systems. Dieses Vorgehen zeigt den Ernstdiskurs auf dem Höhepunkt des Ernstes in einer nationalsozialistischen Epoche, ein halbes Jahr vor der Schlacht von Stalingrad". Ernst versus Ironie, das heißt immer auch Selbstbeschränkung, Intentionalität, Auflösung in Einfachheit versus das Amalgamhafte ästhetischer Rede, versus Intensität und Kontingenz.

An Bohrers Thesen gibt es seitens seiner Mitdiskutanden wenig zu rütteln. Kittsteiners 'abweichende' Analyse der geschichtsphilosophischen Ironie wurde bereits vorgestellt. Differenzierter will Hans Ulrich Gumbrecht den doppelten Binarismus von Bohrers Attribution Frankreich=Ironie / Deutschland=Ernst betrachtet wissen. Zumindest in Stendhal sieht Gumbrecht solche Zuordnungen unterlaufen. Seine Diagnose: Stendhals Erzählen ist befallen von 'nervösem Ernst'. Nervöse Unruhe entsteht, da Stendhal alle ihm zur Verfügung stehenden Verfahren, Sinn zu arretieren nutzt, die Strukturierung angesichts der prinzipiellen Unabschließbarkeit des Textes aber nicht gelingen will. Einspruch gegen das in Bohrers Thesen vorgestellte Ironiekonzept erheben ferner Georg Stanitzek und Raimar Zons. Stanitzek erinnert an den affirmativen Bezug der Moderne auf den poetischen Dilettantismus, jener in Schillers und Goethes Programmschrift Über den Dilettantismus als 'Pfuscherei' verunglimpften Tätigkeit - und damit auf einen Teil jenes ironischen Diskurses, den Bohrer vermißt. Der Bezichtigung des Dilettanten als inkompetenten Pfuschers gegenüber verweist Oswald Wieners Imperativ "nennen wir uns dilettanten" nicht nur auf den Begriffswandel von der Fremd- zur Selbstbezeichnung, sondern auch auf ein rhetorisches Element aus dem klassischen Ironierepertorie, dem sogenannten Asteismus, definiert als "Figur der Selbstherabwürdigung, Selbstverkleinerung, des Understatement".

Zons' Sache ist es, die Herkunft von Bohrers ästhetischen Kategorien (Ironie, Schmerz, Schrecken, das Plötzliche, Eruputive), mit denen die deutsche Literatur wieder Anschluß an die europäische Avantgarde gefunden hat, aus einer spezifisch deutschen Antimoderne aufzuzeigen, "dem Primat der kultischen Politik". Die von ihm konturierte Ironie hebt sich ab von ihrer Funktion als Überwinderin metaphysischer Letztbegründung (Richard Rorty)(19) oder als spielerischer und hypothetischer Gegenbegriff zum zwanghaften Ernst der Philosophie und Theologie (Bohrer). Zons geht aus von der szenischen Ritualisierung des Opfers in der Tragödie und entlarvt die Opferbereitschaft, den "Meridian des Schmerzes", an dem Kultur und Zivilisation sich kriegerisch scheiden, als spezifisch 'deutsche' Linie. Zwar ist der bereits in der mythischen Folter erfahrene Schmerz, wie Ernst Jünger meinte, noch immer die Signatur des "stahlharten Gehäuses" des gegenwärtigen Zeitalters (er hat also keine Verminderung erfahren), trotzdem hat die Schmerzerfahrung den Schauplatz gewechselt. Beredte Beispiele dafür sind die Geburt der Anästhesie und klinischen Analgesie als Exilierung des 'heißen' und Einwanderung des bewußtlosen 'kalten' Schmerzes in die Mitte des Daseins. Man könnte das - auch wenn Zons das Wort nicht benutzt - eine 'Ironisierung' nennen. Der Blick auf Schiller(20) befördert einen ähnlichen Befund zutage, und zwar in Schillers Abspaltung des poetologischen vom philosophischen Diskurs. Folgt man Zons, so zersplittert der Ernst hier gleich doppelt: im ersten Fall diminuiert das Pathos immer weiter zur Referenz, indem es sich mit dem Erhabenen verschwistert, im zweiten kehrt es als mit Lust verbundener 'enthusiastischer' Schmerz wieder. Obgleich vom Überwältigtwerden durch den Schmerz bei Schiller wenig geblieben ist - an die Stelle des Kultortes ist nun der Bühnenraum getreten - werden der Ästhetizismus und die antizivilisatorische Rückgewinnung des Kultischen gewissermaßen kurzgeschlossen. Wie steht es um Büchners Hermannsschlacht? Hier gilt Zons' Augenmerk dem 'rasenden Ironiker' Hermann, dessen Kriegslist in nichts anderem als im präventiven Heimatvernichten besteht, in der Politik der verbrannten Erde. Hermann bestimmt ein in Römerkleider vermummtes Häuflein 'wackerer Leute', durch Sengen, Brennen und Plündern dem Feindbild die richtigen Konturen zu verleihen. Ironie, die komische Parallelaktion zur Hermannsschlacht, sagt Zons, stehe beileibe nicht im Dienste der Diesseitigkeit der Welt, sondern einer Wahrheit, die im gottverlassenen Zeitalter der Subjektivität ihr eigener Effekt ist. Die Formel für diese spezifisch moderne Form des Antimodernismus lautet bei Zons: "Sie (die Ironie, d. V.) begibt sich in das Innerste des Feindes und in das Fragwürdigste des Deutschen, um sie von innen her zu vernichten. Neueste poetische Technik und eine bis dahin unbekannte Kriegspsychologie schließen sich so mit dem Pathos des Opfers und mit der Tiefe des Germanischen Grundes zusammen."

Zu einem originellen Ergebnis gelangt Dirk Baeckers Beitrag, und zwar durch die Anwendung von Nietzsches 'neuem Ernst' auf die moderne Kommunikation. Als Reflex auf die rhetorische Ironisierung der Rhetorik des aufklärerischen Ernstes durch die Romantiker bezieht sich der Ernst zweiter Ordnung das Eigenverhalten der Kommunikation. Als solcher bleibt er indifferent gegenüber seinen Inhalten: Es gibt keine ernsthaftere Angelegenheit als den Stammtisch, an dem man sich reihum Witze erzählt. Oder umgekehrt: Wer ernstgenommen werden will, muß augenzwinkernde Ironie und bauchklatschende Heiterkeit mitkommunizieren. Nicht der Sender, sondern der Empfänger befindet über die Ernsthaftigkeit (oder Albernheit) des Mitgeteilten. "Der neue Ernst", sagt Baecker, "ist das Ergebnis eines Spiels mit dem Ernst. Mit dem Ernst spielen zu können heißt, ihn einerseits als andere Seite des Spiels, andererseits jedoch als Bedingung der Möglichkeit des Wechsels von der einen auf die andere Seite begreifen zu können. Der neue Ernst (...) ist die Einheit der Differenz von Ernst und Spiel und damit die Erfahrung der Ununterscheidbarkeit von Ernst und Spiel. Wenn die Ironie das Spiel mit dem Ernst ist, dann ist der neue Ernst die Erfahrung des Ernstes allen Spiels." Dieser Ernst stellt innerweltlich dispositionierte Gegensätze zur Disposition: gut und böse, falsch und richtig, schön und häßlich. Das wäre auch ohne den von ernsthaften Komikern wie Helge Schneider erteilten Anschauungsunterricht plausibel, unterliefe Baecker nicht ein Schönheitsfehler: Das Spiel mit dritten Werten (den Differenzen zwischen Spiel und Ernst) ist, wie der Autor selbst einräumen muß, "dekonstruktionsrobust". Das klingt nicht von ungefähr nach - ironischer? - Letztbegündung. Eine Ironie, die Baeckers Konstellation erschüttern wollte, untergrübe die Konstruktion von Realität selbst.

Es bleiben zwei letzte Fragen. Blicken wir Zeiten eines, wenngleich vorder- oder hintergündig ironischen, so doch in letzter Konsequenz bohrenden Ernstes entgegen? Und ist eine solche Frage angesichts der soeben im historischen Parforceritt durchkreuzten Freigehege der Ironie und Zwingburgen des Ernstes und ihrer Übergangsregionen nicht - naiv? Das zweite Verdachtsmoment bejahend, beantwortet der Rezensent das erste mit einem 'Nicht unbedingt'. So hat der Marburger Germanist Thomas Anz in einer weithin beachteten Studie jüngst klargestellt, daß "über der extensiven Untersuchung solcher Phänomene (Textrelationen etc., d. V.) die Frage nach dem Effekt oder der psychischen Funktion all dessen, was wir da mehr oder weniger gründlich am Text analysiert haben, in der Regel entschieden zu kurz (kommt)".(21) Deshalb bedürfen wir einer literaturwissenschaftlichen Hedonistik, einer Erforschung des lesebedingten Lustgewinns, der nicht nur den 'ernsten', sondern auch einen ironischen Umgang mit dem Text zuläßt. Das hat - weniger beachtet - auch Horstmann unterstrichen, und zwar als Option für eine interne Selbstkorrektur der "Verwertungsgesellschaft Philologie".(22) Ginge es nach ihm, so würde die sich bereits vom übersteigerten Argwohn gegenüber ihrem Gegenstand - ablesbar etwa an der ausufernden Sekundärliteratur und den damit eskalierenden Explikationsansprüchen - zur systematischen 'Selbstverdächtigung' übergegangene Wissenschaft für die Zukunft und wider den Ernst mit dem Ironischen verbünden. "Eine kunstsinnige Skepsis", schreibt Horstmann, "malträtiert niemanden bis aufs Blut und probt das Lächeln. Der wahrhaft virtuose Verdacht gegen uns selbst hat einen altvertrauten Namen: Ironie. Die Literaturwissenschaft muß mit anderen Worten ironiefähig und selbstironisch werden. Und warum fängt sie damit nicht bei ihrer eigenen Sprache, der Fachterminologie also, an und verdächtigt zum Beispiel die Imponiervokabel 'Forschungsstand', die Wahrheit, die ganze doppelsinnige Wahrheit auszuplaudern?"(23)

Sämtliche nicht durch Anmerkungen belegte Zitate entstammen: Sprachen der Ironie - Sprachen des Ernstes. Hrsg. von Karl Heinz Bohrer. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M., 2000.


1 Karl Heinz Bohrer. Der Abschied. Theorie der Trauer. Frankfurt am Main, 1997, S. 10. 2 Karl Heinz Bohrer (Hrsg.). Sprachen der Ironie - Sprachen des Ernstes. Frankfurt am Main, 2000. 3 Karl Heinz Bohrer. Nietzsche und der Poetische Nihilismus. 1 Tonkassette, 1998. 4 Karl Heinz Bohrer. Die Grenzen des Ästhetischen. München; Wien, 1998, S. 173. 5 Im Blick auf die poetische Botschaft spricht die Literaturwissenschaft von einer 'Desautomatisierung' bzw. 'Semantisierung' des Regelsystems der natürlichen Sprache als Aufhebung der Opposition Semantik - Syntaktik. (Vgl. Jurij M. Lotmann. Die Struktur literarischer Texte. München, 1989.) 6 Vgl. Manfred Frank. Stil in der Philosophie. Stuttgart, 1992; Gottfried Gabriel / Christiane Schildknecht (Hrsg.). Literarische Formen der Philosophie. Stuttgart, 1990. 7 Vgl. dazu das einschlägige Kapitel in Ernst Behlers Standardwerk Ironie und literarische Moderne. Paderborn, 1997. 8 Ulrich Horstmann. Das Untier. Konturen einer Philosophie der Menschenflucht. Frankfurt am Main, 1985, S. 113. 9 Ebd., S. 67. 10 Vgl. als Anknüpfungspunkte einer literarischen Aufarbeitung des Apokalyptischen: Gerhard R. Kaiser (Hrsg.). Poesie der Apokalypse. Würzburg, 1991; Gunter E. Grimm / Werner Faulstich / Peter Kuon (Hrsg.). Apokalypse. Weltuntergangsvisionen in der Literatur des 20. Jahrhunderts. Frankfurt am Main, 1986; Klaus Vondung. Die Apokalypse in Deutschland. München, 1988. 11 Thomas Kaufmann. 1600 - Deutungen der Jahrtausendwende im deutschen Luthertum. Zitiert nach: Thomas Anz. Jahrhundertwenden und Apokalypsen. In: Druckfassung literaturkritik.de. Rezensionsforum für Literatur und Kulturwissenschaft, Nr. 3, März 2000, S. 41. 12 Ulrich Horstmann. Das Untier. Originalausgabe, Berlin, 1983. (Aus dem von Horstmann verfaßten Klappentext) 13 Odo Marquard. Schwierigkeiten mit der Geschichtsphilosophie. Frankfurt am Main, 1982, S. 71. 14 Ebd., S. 76. 15 Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte, erste Hälfte. Band 1: Die Vernunft in der Geschichte. Hamburg, 1980, S. 105. 16 Heinz Dieter Kittsteiner. Listen der Vernunft. Motive geschichtsphilosophischen Denkens. Frankfurt am Main, 1998, S. 11. 17 Zu Kittsteiners Folgerung vgl. Schwierigkeiten mit der Geschichtsphilosophie, ebd., S. 79f. 18 Vgl. François Voltaire. Candid oder Die Beste der Welten. Stuttgart, 1971. 19 Vgl. Richard Rorty. Kontingenz, Ironie und Solidarität. Frankfurt am Main, 1989. 20 Vgl. Albrecht Betz' in diesem Band exemplarisch an der Jungfrau von Orleans und der Pucelle rekonstruierte Auseinandersetzung des 'ernsten' Schiller mit dem Ironiker Voltaire. 21 Thomas Anz. Literatur und Lust. Glück und Unglück beim Lesen. München, 1998, S. 21f. 22 Ulrich Horstmann. Hirnschlag. Aphorismen - Abtestate - Berserkasmen. Göttingen, 1984, S. 86. 23 Ulrich Horstmann. Der Literaturwissenschaftler als Verdächtigungsvirtuose. In: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken, Nr. 46, 1992, S. 641.

 

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